UNZUFÄLLIG ZUFÄLLIGWarum wir uns immer in den Falschen verlieben

Vom Augenabstand bis zur Farbe der Kleidung weiss die Wissenschaft genau, wie wir unsere Partner auswählen. Warum wir uns aber in einen ganz bestimmten Menschen verlieben, bleibt ein Geheimnis. Geniessen wir es! Doch was, wenn wir uns immer richtig in die Falschen verlieben?

Warum verlieben wir uns so oft in den falschen

Wann waren Sie das letzte Mal verliebt? Mit Flickflacks im Bauch, so als hätten Sie gerade eine Puderdose Kokain geschnupft. Meine Freundin erst wieder gestern, kurz. «Ich hatte gerade einen magischen Moment», flötet sie mir zu. Lass mal deinen Zauberstab stecken, denke ich mir. Barbara ist nämlich sehr talentiert im richtig Verlieben und meistens trifft es die Falschen.

Schicksal, sagt sie, dass der Mann mit dem sie sich gemeinsam über die Kaffeemaschinenreinigertabletten beugte, erst ihr Liebhaber wurde und dann der Typ, der seine Frau fast siebenmal für sie verlassen wollte. Schicksal? Scheusal, würde ich den feigen Fremdgeher nennen. Und Andrin blieb nicht der Letzte seiner Art, den Barbara nie allein für sich haben konnte. Auch Roman und Stefan machten Barbara zur Nebenfrau.

Verlieben kann man nicht planen, es passiert. Es hat einfach Zoom gemacht. Es ist die Sorte Ding, über die man Lieder schreibt. Aber ist es wirklich so einfach? Was braucht es dazu?

Liebe macht blind: Ich sehe was, was du nicht siehst

«Nicht sehr viel, stellt sich heraus», schreibt Angst- und Phobiespezialist Dr. Fredric Neumann auf seinem Blog «Fighting Fear» («What Does It Take to Fall in Love»). In Gesprächen mit Patienten versuchte er herauszufinden, ob es nachvollziehbare Gründe für das Verlieben gibt. Ein Patient hatte sich in eine Frau verguckt, von der er nicht mehr als eine Fotografie in einem Wissenschaftsmagazin kannte. Indem er verschiedene Bereiche des Fotos verdeckte, versuchte Neumann gemeinsam mit dem Patienten offen zu legen, was ihn so sehr an dieser Frau faszinierte. Der Patient fand schliesslich, die Frau auf dem Bild hätte besonders schöne Augen. Sie trug eine Schutzbrille.

Neumann behandelt Menschen mit Angststörungen. Wie könnten uns diese Kranken erklären, wie wir Normale uns verlieben? Vielleicht, weil die Verliebtheit an sich auch ein Ausnahmezustand ist. So soll schon Platon gesagt haben, dass die Liebe eine schwere Geisteskrankheit sei. 2000 Jahre später kann die Anthropologin Helen Fisher[1] Platons Vermutung mit Hirnforschungen belegen: «Liebe ist eine der am abhängigsten machenden Substanzen, die wir kennen». Studien zeigen, dass wenn wir uns verlieben, genau dieselbe Prozesse ablaufen, wie wenn wir süchtig sind. Kokain wie der Angebetete sorgen dafür, dass unser Belohnungszentrum im Gehirn das Glückshormon Dopamin ausschüttet. Und besonders viel davon. Man schätzt, etwa zehnmal soviel wie, wenn wir ein Stück Schokolade essen.

Doch diese übermässige Stimulierung hat seinen Preis. Unser Gehirn ordne alle anderen Tätigkeiten der Beschaffung neuer Drogen unter, erklärt Fisher. «Romantische Liebe ist eine Obsession. Sie nimmt dich in Besitz. Du verlierst das Gefühl für dich selbst. Du kannst nicht aufhören über einen anderen Menschen nachzudenken. Jemand kampiert in deinem Kopf.»

Das 12-Punkte-Programm für anonyme Liebessüchtige

Je kleiner die Hoffnung, desto heisser die Liebe. Schlimmer sei die Liebessucht nur, wenn wir abgewiesen werden, sagt Helen Fisher. Da das Belohnungszentrum im Gehirn zuständig ist, für das, was wir wollen und uns antreibt, dafür alles einzusetzen, wird diese Region bei Liebesentzug noch aktiver. Erst wenn wir bekommen, was wir wollen, kriegen wir es satt. Das ist meist der Moment, wo er seine Poster in ihrem Wohnzimmer aufhängen will und sie sich entscheidet ihn zu lieben oder zum Teufel zu jagen. Denn Liebe und Verliebtsein sind im Leben wie in unserem Kopf nicht dasselbe. Für Liebe ist eine andere Droge zuständig: das Bindungshormon Oxytocin.

«Das ist der Parkplatz auf dem wir uns über unsere Lieblingskaffeemarken unterhalten haben». «Mach das Lied weg. Dazu haben wir im Hotelzimmer in Barcelona getanzt.» «Findest du nicht, dieser Kaktus sieht aus wie Stefan?». Manchmal lächelt sie, manchmal weint sie. Aber immer öfter denke ich: Barbara, leg doch bitte mal eine andere Platte auf. Jetzt aber hoffe ich, es gäbe eine Art 12-Punkte-Programm für anonyme Liebessüchtige. Tatsächlich, empfiehlt Helen Fisher bei Liebeskummer Totalentzug. Man sollte alles aus dem Leben zu verbannen, was an die ehemalige Liebe erinnert. Keine Bilder, keine Nachrichten und niemals anrufen!

Doch wenn wir uns unbewusst verlieben, wie können wir uns dann bewusst entlieben? Kann man lernen sich den Richtigen auszusuchen? Der Verhaltensforscher Steven Reiss behauptet, dass wir uns zu Menschen hingezogen fühlen, die uns ähnlich sind. Homogamie, sagt der Fachjargon dazu und meint damit nicht allein die Tatsache, dass sich Hundehalter- und Hundegesicht oft verblüffend gleichen, sondern dass die Ähnlichkeit sich auch auf Abstammung, Bildung, Status oder Werte bezieht. Das macht Sinn, schliesslich sind Partnerschaften in denen man ähnliche Werte und Ziele hat, langfristig erfolgsversprechender.

Aber auch das nützt Barbara nichts. Schliesslich verliebt sie sich immer schon vorher, bevor sie weiss, dass ihr Angebeter nicht nur nicht dieselben Werte teilt, sondern die Beziehung auch keinen Wert hat. Das Problem ist, dass wir auch unbewusst nach Ähnlichkeiten suchen. Und zwar neigen wir zu solchen Typen, die uns vertraut vorkommen. Dr. Neumann glaubt: «Die Neigungen sind Wiederspiegelungen von vielen, grossen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Ich nehme an, dass diese Erfahrungen irgendwo in unserer Erinnerung gespeichert werden – mit anderen Worten im Unterbewussten.» Und noch etwas vermutet Neumann: In wen wir uns verlieben, hat wenig mit der anderen Person zu tun, aber viel mit uns selbst.

Die Muster des Verliebens aufzubrechen ist aber nicht leicht. Denn, was das Verlieben auslöst, können wir meist nicht benennen. Man vermutet, dass wiederum die Beziehungsmuster, die uns unsere Eltern vorgelebt haben, entscheidend für unsere Partnervorlieben sind. Dabei muss es keine offensichtlich schreckliche Beziehung sein, wie das berühmte Beispiel von der Tochter eines gewalttätigen Alkoholikers, die sich anschliessend immer in Beziehungen wiederfindet, in denen ihr Gewalt angetan wird.

Das Gehirn speichert einmal Erlebtes als etwas Vertrautes ab. Das Vertraute suchen wir, weil wir es kennen, ganz gleich, ob es gut oder schlecht für uns ist. Und es erleichtert uns im Leben vieles. Wenn wir zum Beispiel das Tippen am PC lernen, ist es zunächst schwierig jeden einzelnen Buchstaben wiederzufinden. Mit der Zeit finden unsere Finger die Buchstaben ganz automatisch. Diese Fähigkeit verlernt sich nur, wenn wir sehr lange nicht Tippen oder die Buchstaben auf der Tastatur neu angeordnet werden.

Man müsste Barbara also auf bindungswillige Männer umprogrammieren. Aber wie? Um uns in andere Menschentypen zu verlieben müssen wir uns in ungewohnte Gegenden bewegen, empfiehlt Psychologe Dr. Ragmar Beer. Barbara sollte mit Männern ausgehen, die sie gewöhnlich nicht interessieren, denn mit der Zeit könne ihr Gehirn lernen, dass andere Eigenschaften und Verhaltensweisen eines Partners besser für sie sind.

Du willst es doch auch

Bliebe noch das Problem, das oft mit einem «hätte» beginnt und man unter schlechtem Timing abhakt. Vielleicht hätte Barbara Andrin einfach früher kennenlernen müssen, bevor es Kinder und Hauskredit gab. Und Roman später, nachdem ihm seine Freundin offenbarte, dass sie eigentlich Frauen liebt - denn wie oft trifft man den Richtigen im falschen Moment?

Der Wissenschaftsautor Bas Kast («Die Liebe – und wie sich Leidenschaft erklärt») hat darauf eine verblüffende Antwort: Vermutlich verlieben wir uns nicht im falschen Moment, sondern im möglichen. «Wir sollten nie unterschätzen, wie wichtig das Wann ist. Natürlich das Wer, natürlich das Wo, aber vor allem auch die Situation, in der wir uns befinden.»[2] Warum sucht sich Barbara genau jetzt immer wieder Männer aus, die sie eigentlich nicht ganz haben kann? Vielleicht, weil sie genau jetzt nicht alles von ihm haben will. Vielleicht weil Barbara sich nicht wirklich binden will.

Und wie gut, dass Barbara sich so schnell verliebt, denn statistisch klappt es mit der Liebe spätestens mit dem 13. Partner. Und noch eine Weisheit gibt uns die Wissenschaft mit: In einer Studie von Collegestudenten[3] über die Liebe wurden zwei bemerkenswerte Fragen gestellt. «Wurden Sie jemals von einem Menschen zurückgewiesen, den Sie wirklich geliebt haben?» Und: «Haben Sie jemals einen Menschen abserviert, der Sie wirklich liebte?» Fast 95 Prozent der befragten Männer und Frauen sagten Ja zu beidem. Niemand kommt um die Liebe rum ohne Leid.

Foto: istock



[1] Quelle: TED-Talk mit Helen Fisher: «The Brain in Love» (http://www.youtube.com)

[2] Quelle: Patrick Bauer: Verdammt veliebt, NEON (http://www.neon.de)

[3] Quelle: TED-Talk mit Helen Fisher: «The Brain in Love»

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