SUGAR-DADDY-PRINZIPSpendabel sucht Jung und Schön

«Erfahrener Mann sucht junge, hübsche Frau. Geld spielt keine Rolle!». Und das ist frech gelogen. Denn auf der Dating-Plattform My Sugardaddy wird Geld und Einfluss gegen Jugendlichkeit und Attraktivität getauscht.

Sugar Daddy: Junge Frau und reicher Mann. Ist Liebe käuflich?

Jörg aus Hamburg ist Genussmensch und Gentleman. Deshalb weiss er zu schweigen. Erzählen müsse man sowieso nicht viel über die neue und etwas andere Dating-Plattform My Sugardaddy, «die vielen attraktiven Frauen auf der Seite sprechen für sich.» Auch die junge, hübsche Melanie aus Köln schätzt die luxuriöse Seite des Lebens. Denn was gäbe es Schöneres als mit seinem Traummann am Strand zu liegen und Champagner zu trinken, fragt sie. Herren, die sich jetzt hemmunglos in Melanies strahlenden blauen Augen verloren haben, sollten aber schleunigst aufwachen. Denn der Traummann von Melanie findet sich meist nicht zufällig an der Bushaltestelle. Um Melanie zu überzeugen braucht es schon etwas ganz Bestimmtes. «Den gleichaltrigen Männern fehlt dazu das Geld», sagt sie werbewirksam auf der Startseite des Vermittlungsportals auf dem sich Sugar Daddys und Sugar Babes treffen sollen.

Liebe ist nicht käuflich und Geld allein macht nicht glücklich, weiss die gute Sitte. Nun geht es im Leben aber nicht immer nur um die reine romantische Liebe, die wir ja so auch erst seit einem Jahrhundert pflegen, erwidert die Vernunft. Auf dem Marktplatz der Beziehungen gelten viele Währungen. Und Geld ist eine wichtige davon, weil sie fast alle anderen Währungen, wie Macht, Einfluss, Erfolg, Attraktivität, Jugend, Intelligenz, Freundlichkeit kaufen kann. Eigenschaften nach denen auch wir Moralapostel unsere Partner auswählen.

Wer Geld hat, kann darüber nachdenken in was er sein Geld investieren will. Der Gründer des amerikanischen Mutterportals seekingmillionaire.com, Brandon Wade, hat dazu auch ganz praktische Tipps. Ehefrau, Geliebte oder Freundin? Im Interview mit dem Spiegel erklärt er, die Freundin sei am günstigsten. Wer etwas Langfristiges suche, lege sein Geld am besten in eine Ehefrau an, denn auf die Stunde gerechnet sind Geliebte ziemlich teuer. Aber Vorsicht, warnt der Geschäftsmann, eine Scheidung sei noch kostspieliger.

Dass Männer sich in Liebesdingen gerne mal verrechnen, zeigt der hohe Anteil an bereits verheirateten Sugar Daddys. 2012 trugen 40% aller registrierten Zuckerväter nach eigener Angabe einen Ring am Finger. Ihre Geliebten lassen sie sich trotzdem etwas kosten, denn auf Fremdgehportalen wie Ashley Madison müssen auch Millionäre nur die Mitgliedschaftsgebühren bezahlen.

Sugar Daddy (62): Vater, Gentleman, Sponsor

Der ergraute Herr zahlt, beide geniessen. So zumindest in der Theorie des neuen Datingportals My Sugardaddy und seinen Vorläufern SeekingMillionaire oder WhatsYourPrize?. Wenn die Nachfrage das Angebot regelt, gibt es heute vielleicht immer mehr Frauen, die ältere und reiche Männer mehr oder weniger intensiv begleiten und dafür beschenkt werden wollen.Teure Reisen, Luxushotels, schöne Kleidung oder Schmuck. Klassische Liebesbeziehungen sind diese Verbindungen nicht, hier geht es ausschliesslich um die scheinbar angenehmen Seiten einer Liason.

Die Männer sollen von stressfreien Beziehungen und der attraktiven Begleitung profitieren, die jungen Frauen dürfen im Luxus schwelgen, den sie sich normalerweise oder mit gleichaltrigen Partnern nicht leisten könnten. Und wer die grössere Nachfrage hat, illustrieren die Zahlen. Die Sugar Daddys machen circa zehn Prozent der User aus, die restlichen 90 Prozent sind Sugar Babes, die Geld gegen Liebesbeziehung ohne Liebe tauschen wollen.

Sugar Daddys greifen dabei gern und tief in die Tasche, um in den Genuss und die Gesellschaft eines Zuckerpüppchen zu kommen. Eine Traumreise auf die Malediven, Shoppingtouren ohne Limits und Champagner sind die Währung, die man auf seekingarrangement.com versteht. Und auch selbstbewusst einfordert. Eine Userin aus London, 25 Jahre jung, blond, hauptberuflich Model, spricht in Zahlen: In ihren Profilangaben fordert sie 15.000 Franken monatlichen Unterhalt von ihrem künftigen Sugar Daddy. Andere Sugarbabes sind keineswegs genügsamer: Sie verlangen Eigentumswohnungen, teure Unterwäsche, eine Brust-Vergrösserung oder ein eigenes Pferd. Hübsche Gesellschaft kostet eben.

Sugar-Daddy-Prinzip: Moderne Prostitution?

Des Sugar-Daddy-Prinzip ist nicht wirklich neu. Den Escort-Service hübscher Damen gibt es seit Jahrhunderten. Und Prostitution ist das älteste Geschäft der Welt. Was liegt näher als von einem «virtuellen Bordell» zu sprechen? Doch wehe man verwendet derartige Begriffe in einem Atemzug mit den Sugar Babes. Von solchen Vergleichen wollen sich spendable Sugar Daddys ebenso strikt lösen wie ihre anspruchsvollen Begleitungen. Die Portal-Betreiber sowieso. Man zahle nicht für Dates, schon gar nicht für Intimitäten, vielmehr kommen die Parteien unausgesprochen darüber ein, dass er alles zahlt und sie stets verfügbar ist. Geschmuddelt wird woanders.

Das Sugar-Daddy-Prinzip basiert auf Freiwilligkeit. Jegliche Verbindungen entstehen aus freien Stücken aller Beteiligten. Eine Realität, die man sich für Bordelle bislang immer noch wünscht. Sugar Babes können sich ihren Sugar Daddy immer selbst aussuchen. Jede Geschäfts-Beziehung kann jederzeit aufgelöst werden. Nichts ist erzwungen, dafür alles verhandelbar. Und das Geschäft läuft. Aber warum? Hatten wir diese Zeiten nicht längst hinter uns gewusst? Der stetig wachsende Zulauf besagter Sugar Daddy-Portale ist vermutlich einem altbekannten und vitalem Klischee geschuldet: Männer gelten vor allem durch Geld, Macht, Einfluss, Erfahrung und Kompetenz attraktiv und sie lieben Staussymbole, vor allem die schlanken, jungen und blonden. Eine Konstellation, die ein wenig an verstaubte Traditionen erinnert: Versorger trifft Umsorger. Geschäfts- statt Liebesbeziehung, eben.

Sugarbabe (24), jung, schön und emanzipiert

Wird Liebe wirklich so leicht zum Geschäft? Wo sind sie denn nur alle geblieben, die emanzipierten Frauen und hoffnungslosen Romantiker, die für Gleichberechtigung und unabhängige Liebe gekämpft haben? Vielleicht tut man den Sugar Babes Unrecht, wenn man sie als abhängige und unemanzipierte Frauen darstellt. Mit Unterwürfigkeit hat es wahrscheinlich nicht mehr viel zu tun, wenn «Babe24» und «Honey1» die frisch manikürte Hand aufhalten und nach einem monatlichen Honorar samt regelmässigen Bonusleistungen und bezahlten 5-Sterne-Urlaubstagen verlangen. Schönheit kostet. Das war schon immer so. Nur machen die Frauen jetzt die Preise. Sie wissen, was sie sich wert sind und fordern das auch ein. Eine Stärke, die mancher Frau im Berufsalltag fehlt. Deshalb scheiden sich vor dem Portal zu den Millionären nicht unbedingt die Emanzipierten von den Unemanzipierten, sondern die Ziele, beziehungsweise wie man sie erreicht.

Wer arm ist, für den ist ein üppig gedeckter Tisch in einer gutbeheizten Villa vielleicht reizvoller als ein romantisches Teelicht-Dinner mit Büchsenbohnen auf hartem Asphalt. Oder was nützt mir die Liebe in Gedanken, wenn ich vor lauter Kälte nichts mehr spüre? Freiheit ist eben auch dazu da, das moralisch Zweifelhafte zu tun. Die einen wollen eben lieber das andere. Mit Emanzipation im Sinne von Gleichberechtigung hat das alles aber nicht viel zu tun, denn das Sugar-Daddy-System lebt gerade von der Verschiedenheit und dem festgeschriebenen Rollenmodell. Das illustriert sich schon allein am Mangel an zahlungskräftigen Sugar Mommys. Gerade eine einzige Sugar Mama findet sich unter hundert Sugar Daddys auf dem seit 2005 existierenden Partnervermittlungsportal seekingmillionaire.com.

In Zeiten in denen sich ein lustvoller Roman wie Shades of Grey weltweit millionenfach verkauft, muss man sich vielleicht viel mehr fragen, ob wir nicht immer noch (oder immer schon) die Sehnsucht nach klaren Rollenverteilungen haben. Sugar Daddy sucht Sugar Baby, heisst dann vielleicht zwischen den Zeilen: Ich wünsche mir eine Frau, die zu mir aufschaut, die ich versorgen und beschützen darf. Und das Sugar Babe will sich vielleicht nur anlehnen und weich sein dürfen.

Liebe als Verhandlungssache?

Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, denn einige Sugarbabes lockt keineswegs nur das fremde Geld, sondern vor allem der persönliche und berufliche Ehrgeiz auf seekingarrangement.com. Sie suchen einen Mann mit Geld, aber vor allem mit Erfahrung, Kontakten und Expertise. Klar stehen Sugarbabes auf Luxus, aber am liebsten, wenn sie ihn selbst verdient haben. Ein Mann, zu dessen Erfolg sie aufschauen und von dem sie lernen können, ist ihnen daher manchmal mehr wert als die neue Gucci-Tasche.

Im besten Fall finden Sugarbabes also nicht nur einen grosszügigen Gönner, sondern auch einen Mentor. Eine These, die das Thema Liebe gar nicht mehr so weit weg erscheinen lässt. Wer sieht in seinem Partner schliesslich nicht gerne jemanden, von dem er lernen kann, dessen Erfolg er schätzt und der ihn ausserdem noch an seinem eigenen Wohlergehen teilhaben lässt? Auch Schönheit, Jugendlichkeit und gemeinsamer Genuss sind Werte, die wohl keiner an seinem Gegenüber abstossend findet. Was spricht – beim Vorhandensein solcher Verbindungen – also eigentlich gegen die Vermutung von wahrer, tiefer Liebe zweier Menschen, die sich auf seekingarrangement.com kennen gelernt haben? Alles kann, nichts muss. So ist es doch Usus beim Online-Dating.

Dass diese Begegnungen ausschliesslich durch materielle Reize entstanden sind, dreht natürlich jedem Romantiker den Magen um. Aber mal ehrlich: Macht es wirklich einen Unterschied, ob man mit flotten Sprüchen, romantischen Gesten, einem attraktiven Sixpack oder aber mit einem millionenschweren Kontostand um seine Herzensdame wirbt? Sicher ist nur, wessen Herz proportional zum Kontostand höher schlägt, der schaut sich besser auf seekingmillionaire um, als an der Bushaltestelle.

Text: Linda Freutel, Nathalie Riffard

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