BESSER TIEFSTAPELNWarum Down-Shifter glücklicher sind

Downshifting macht kurzen Prozess mit Jobs, die nicht mehr erfüllen und Privatem, das auf der Strecke bleibt. Gut so. Denn Downshifter leben glücklicher.

Downshifting kurzen Prozess mit Jobs, die nicht mehr erfüllen.

«Ich fühle mich wie im falschen Film», sagen viele, die das erste Mal mit Wiebke Sponagel sprechen. Im Beruf dominieren Leistungsdruck und Stress, der Job macht schon lange keinen Spass mehr. Stattdessen funktioniert man nur noch. Privatleben und Zeit für die eigene Person kommen regelmässig zu kurz. An deren Stelle treten Familienleben nach Termin, Beziehungen im Energiesparmodus und Freizeit ohne freie Zeit, bringt es Wiebke Sponagel auf den Punkt. Man fühlt sich wie in einem Hamsterrad. So verstreichen die Wochen, Monate und Jahre. Die Unzufriedenheit wächst. Und irgendwann ist es nicht zu leugnen: Das eigene Leben passt nicht mehr.

Die Karriereberaterin Wiebke Sponagel unterstützt Unzufriedene beim Runterschalten – oder Downshifting. Ein Begriff, der im Amerika der 90er Jahre populär wurde, und dessen Ursprung dem irischen Gesellschaftskritiker Charles B. Handy zugeschrieben wird. Downshifting meint die Flucht aus dem Hamsterrad, den Austritt aus dem klassischen Karrieremodell. «Man setzt sich zu Beginn seines Beruflebens auf ein Gleis. Doch irgendwann ist es nicht mehr stimmig», erklärt Wiebke Sponagel. «Die Welt, in der ich mich bewege, passt nicht mehr zu dem, was ich fühle.»

Downshifting ist die Reduktion aufs Wesentliche

Wer sich an diesem Punkt weigert weiter zu gehen, stehen bleibt und inne hält, wird als Downshifter bezeichnet. Oftmals fälschlicherweise mit einer schlichten Verringerung der Arbeitszeit gleichgesetzt, meint der Begriff nicht nur ein stressfreieres Leben. Überlastung kann zwar ein Motiv sein, ist laut Wiebke Sponagel aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist schlichtweg die Sinnfrage: «Downshifting bedeutet eine Reduktion aufs Wesentliche. Wer bin ich, was kann ich und wohin will ich?» Und diese stellen sich nicht nur von Burn Out und Stress gebrannte Top-Manager.

Nicht weniger, sondern anders arbeiten

Beim Downshifting geht es nicht darum weniger, sondern anders zu arbeiten. Eine Entscheidung, der laut Sponagel ein grosser Leidensdruck voraus geht und die nichts mit fehlender Arbeitsmoral oder Leistungsverweigerung zu tun hat. «Ich werde oft gefragt, ob ich einen Manager kenne, der nun Schäfer ist. Nein, damit kann ich nicht dienen.» Auch das Bild des Karrieremenschen, der sein Hab und Gut verkauft und nun auf einer Parkbank schläft, geht an der Realität vorbei. Alle ihrer Klienten sind berufstätig, nur eben anders als zuvor. Möglichkeiten sind der Weg in die Selbstständigkeit, ein Sabbatical oder Home-Office-Tage. Und natürlich auch eine Stundenreduzierung oder komplette Neuorientierung. Die praktische Umsetzung ist aber immer individuell. Doch nicht selten folgt dem Runterschalten eine zweite Karriere. Wer tut, was er gerne macht, hat damit meistens Erfolg. «Ich habe kürzlich eine Frau kennengelernt, die einen Glücksgarten betreibt, und Kräuter- und Kochkurse anbietet. Für ihre Tätigkeit gibt es eigentlich keine Berufsbezeichnung. Und trotzdem ist sie äusserst erfolgreich und genau dort, wo sie sein möchte», erzählt Wiebke Sponagel.

Die Erkenntnis, wo man sein möchte, gewinnt man allerdings nicht von Heute auf Morgen. Der hektische und laute Alltag macht die Suche auch nicht einfacher. Wer funktioniert, hat oft einen verschleierten Blick auf die eigene Situation. Was man dann braucht ist Zeit. Daher rät Wiebke Sponagel, erstmal Abstand von Beruf und Alltag zu nehmen, womöglich durch längere Ferien. Und herauszufinden, welche Bedürfnisse wirklich in einem schlummern. Hat man dann eine Idee von dem, was die innere Stimme einem zuzuflüstern versucht, braucht es wiederum Zeit. Denn diese Erkenntnis muss sich ersteinmal setzen. «Wenn ich eine Umorientierung begleite, benötigt es mindestens ein halbes Jahr von der Idee zum Konzept.»

Downshifting als Luxusproblem?

Was in der Theorie verlockend und einfach klingt, ist in der Praxis oft schwieriger. Downshifting muss sich den Vorwurf eines Luxusproblems gefallen lassen, das sich nicht jeder leisten kann. Ein Familienvater, der Alleinverdiener ist, hat in Sachen Downshifting andere Rahmenbedingungen als ein Ende-Zwanziger ohne Verpflichtungen. Ein Umstand, den Wiebke Sponagel nur zu gut aus der Praxis kennt. Bei einer ihrer Buchlesungen wäre ein Mann mittleren Alters entrüstet aufgestanden, er sei in der Familienmaschine und komme aus dieser nunmal nicht raus. Ein Argument, das die Karriereberaterin so nicht gelten lässt. «Natürlich, Sie müssen sich bei jeder Entscheidung fragen, ob Sie sie sich leisten können. Aber ich würde die Frage gerne anders stellen: Kann es sich ein Familienvater leisten seine Gesundheit zu ruinieren und nicht downzushiften?»

Downshifting ist kein Spaziergang

Neben der Finanzierbarkeit gibt es auch noch einen anderen Aspekt: Die Entscheidung gegen eine Karriere im klassischen Sinn weckt nach wie vor Stirnrunzeln. Was von den Akteuren selbst als aktiver Befreiungsschlag und Schritt zu einem glücklicheren Leben empfunden wird, kann im sozialen Umfeld auf Unverständnis stossen. «Viele erleben Downshifting zunächst als Verlust an Status und Privilegien», erzählt Wiebke Sponagel. Der Vorwurf der Leistungsverweigerung hängt im Raum. Ein Irrtum, mit dem sie aufräumen möchte. Wer sich und sein Leben neu ausrichtet, scheut keine Mühe. Abgesehen davon sei Downshifting kein Spaziergang, sondern viel Arbeit. Und verdiene unter Umständen mehr Anerkennung als der gerade Weg auf dem ausgetretenen Karrierepfad.

Denn genau der ist Schuld daran, dass die Mehrheit zu Beginn des Lebens dem Herdentrieb folgt und in Berufen verweilt, die an ihren wirklichen Bedürfnissen vorbeizielen. «Es gibt viele, die in Büros nur ihre Zeit absitzen, und innerlich schon auf den Bahamas sind», beschreibt Wiebke Sponagel den Schwebezustand, der auch als innere Kündigung bezeichnet wird. Physisch ist man anwesend, geistig aber anderswo. Downshifter bringen die Unstimmigkeit zwischen innerer und äusserer Lebenswelt wieder in Einklang. Sie entscheiden sich gegen eine Fremd- und für die Selbstbestimmung. Sie möchten ihre Arbeit wieder als befriedigend und sinnvoll empfinden.

Der Mut vom konventionellen Weg abzuweichen

Doch wer will das nicht? Was also haben Downshifter, das andere, die im Hamsterrad verweilen, nicht haben? «Identität», sagt Wiebke Sponagel, ohne einen Moment zu zögern. «Der Downshifter fragt sich nicht, was andere tun, sondern was passt zu mir?» Hinzu komme der Mut seitwärts zu denken und unter Umständen vom konventionellen Weg abzuweichen. Wer selbst zum Downshifter werden will, sollte sich also folgenden Rat zu Herzen nehmen: «Finden Sie heraus, was Sie wirklich wollen und können. Und tun Sie es!»

Über Wiebke Sponagel

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Wiebke Sponagel arbeitet als Coach und Karriereberaterin. Sie studierte Anglistik und Linguistik mit Schwerpunkt Firmenkommunikation. In Deutschland war sie als Firmentrainerin tätig, 2000 gründete sie Perspective Coaching. Seitdem begleitet sie Menschen auf dem Weg zu neuen Lebens- und Berufsperspektiven. Wiebke Sponagel ist Autorin des Ratgebers «Runterschalten! Selbstbestimmt arbeiten, gelassener leben» und des Taschenguides «Downshifting». perspective-coaching.de

Titelbild: iStock, Thinkstock

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